Soldatenrecht: ,,Erstattung der Ausbildungskosteneines nach Anerkennung als… – OVG Münster, 1 A 2278/11

Zur Frage der Ersparnis von Ausbildungskosten in einem Härtefall nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG – hier in Gestalt ersparter Lebenshaltungskosten – wenn bei Absolvierung der betreffenden Ausbildung…

BildDas Oberverwaltungsgericht Münster hat am 22.08.2013 der durch die Kanzlei Baiker & Richter ein-gelegten Berufung vollständig statt gegeben.

Tenor der Entscheidung:

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Der Bescheid der Stammdienststelle der Bundeswehr vom 26. März 2009 und der Wider-spruchsbescheid derselben Behörde vom 27. Juli 2010 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstre-ckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des voll-streckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Bei der Entscheidung über die Frage, inwieweit auf den Erstattungsbetrag von maximal 31.504,24 Euro ganz oder teilweise zu verzichten ist, hat die Beklagte mit den von ihr angestellten Erwägungen bezüglich des gesamten noch zurückgeforderten Betrages von 26.460,41 Euro ermessensfehlerhaft ge-handelt. Gemäß § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht bei Ermessensentscheidungen auch, ob der Ver-waltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Beklagte hat in diesem Sinne bei dem Erlass der angefochtenen Verwaltungsakte nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung ent-sprechenden Weise von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht.

Ist mit Blick auf die Kriegsdienstverweigerung durch einen Soldaten ein Härtefall im Sinne des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG anzunehmen, darf die Rückzahlungsverpflichtung den Soldaten von der Ausübung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung nicht abschrecken; die Annahme eines Härtefalls mit der sich daran anschließenden Ermessensentscheidung über eine Reduzierung des Rückforderungsbetrages ist ein verfassungsrechtlich gebotenes Korrektiv, das einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interes-sen des grundrechtsgeschützten ehemaligen Soldaten einerseits und des Dienstherrn andererseits schaffen soll. Die Interessen des Dienstherrn bestehen darin, eine Ausbildung, die im zivilen Bereich mit erheblichen Kosten verbunden ist, nur zu finanzieren, wenn er danach für einen bestimmten Zeit-raum – in der Regel den Verpflichtungszeitraum – von den durch den Soldaten im Rahmen der Ausbil-dung erlangten Kenntnissen und Fähigkeiten auch profitieren kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 – 2 C 19.05 -, ZLW 2007, 288 = juris, Rn. 16.

Dies bedeutet mit Blick auf die Bedeutung des Grundrechts auf Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen, dass die Rückforderung jedenfalls auf den Betrag zu beschränken ist, der in der Summe dem geldwerten Vorteil entspricht, der dem ehemaligen Soldaten aus der genossenen Fach-ausbildung für sein weiteres Berufsleben real und nachprüfbar verblieben ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 – 2 C 19.05 -, ZLW 2007, 288 = juris, Rn. 15.

Hierzu gehören die Aufwendungen, die der Soldat dadurch erspart hat, dass er die Fachausbildung nicht auf eigene Kosten hat absolvieren müssen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 – 2 C 19.05 -, ZLW 2007, 288 = juris, Rn. 20; Beschluss vom 2. Juli 1996 – 2 B 49.96 -, ZBR 1996, 309 = juris, 2 B 49.96 -, Rn. 7.

Zu diesen Ersparnissen zählen die unmittelbaren Ausbildungskosten wie etwa Ausbildungsgebühren oder Aufwendungen für Ausbildungsmittel sowie die mittelbaren Ausbildungskosten wie Reisekosten, Trennungsgeld und ersparte Lebenshaltungskosten sowie die Kosten der Krankenversicherung.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 – 2 C 19.05 -, ZLW 2007, 288 = juris, Rn. 21 f..

Die Lebenshaltungskosten sind nur dann im vorgenannten Sinne „erspart“, wenn und soweit der Betreffende im Rahmen einer zivilen Ausbildung die insoweit erforderlichen finanziellen Mittel hätte „selbst mitbringen“ müssen, wenn er sie also hätte finanzieren oder aus seinem sonstigen Vermögen (einschließlich Unterhaltsansprüchen gegenüber den Eltern) zur Verfügung stellen müssen. Anders liegt der Fall, wenn er unmittelbar aus dem Ausbildungsverhältnis heraus finanzielle Leistungen wie etwa eine Ausbildungsvergütung erhalten hätte. Denn in einem solchen Fall stehen den während der Ausbildungszeit anfallenden Lebenshaltungskosten die Einnahmen aus eben dieser Ausbildung ge-genüber, die regelmäßig gerade auch der Bestreitung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind. In einem solchen Fall hätte der Betreffende seine Lebenshaltungskosten unmittelbar aus dem Ausbil-dungsverhältnis erwirtschaftet und deshalb die betreffenden Aufwendungen gerade nicht „erspart“.

Mit Blick auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit der absolvierten Ausbildung betont das Bundesver-waltungsgericht schließlich, dass es nicht darum gehe, die Aussicht auf künftige Einnahmen abzu-schöpfen; allerdings könne zum Gegenstand der Abschöpfung sehr wohl der wirtschaftliche Vorteil gemacht werden, der daraus folge, dass der Soldat aufgrund der absolvierten Ausbildung eindeutig erhöhte Einstellungschancen auf dem Arbeitsmarkt habe oder dass sich seine tarifliche Einstufung hierdurch verbessere.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 – 2 C 19.05 -, ZLW 2007, 288 = juris, Rn. 20, 23. Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 30. September 1999 – 12 A 1828/98 -, juris, Rn. 63, zur wirtschaftlichen Verwertung einer absolvierten Weiterbildung zum Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen.

Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Entscheidung der Beklagten ermessensfehlerhaft. Den von ihr festgesetzten Rückerstattungsbetrag hat sie allein aufgrund der Überlegung festgesetzt, dass der Kläger zumindest diesen Betrag durch die absolvierte Ausbildung an Lebenshaltungs- und Krankenversicherungskosten erspart habe. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Ausgangsbescheid, der sich zu dieser Frage nicht verhält, folgt aber aus dem Widerspruchsbescheid, dort Bl. 6. Damit hat sie nicht dem Zweck der Ermessensregelung entsprechend gehandelt. Dieser besteht nach den obigen all-gemeinen Ausführungen allein darin, den Rückforderungsbetrag auf den wirtschaftlichen Vorteil, den der Kläger durch die absolvierte Ausbildung erfahren hat, zu begrenzen. Die insoweit von der Beklag-ten in Ansatz gebrachten Lebenshaltungskosten hat der Kläger aber nicht in diesem Sinne erspart. Insoweit ist die Beklagte von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Um seine Ersparnis festzustel-len, ist zu ermitteln, welche wirtschaftlichen, nicht durch das private Ausbildungsverhältnis gedeckten Belastungen der Kläger gehabt hätte, wenn er auf dem privaten Ausbildungsmarkt eine entsprechende Ausbildung absolviert hätte. Insoweit ist aber davon auszugehen, dass der Kläger keine Lebenshal-tungskosten – zumal kein solchen in der von der Beklagten angesetzten Höhe – hätte tragen müssen. Der Senat findet zwar keinen Grund, die Vorgehensweise der Beklagten zu beanstanden, im Rahmen einer generalisierenden und pauschalierenden Vorteilsermittlung für die Höhe der fiktiven Lebenshal-tungskosten an das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum anzuknüpfen. Diese Methode kann grundsätzlich dann in vertretbarer Weise angewendet werden, wenn – wie auch im vom Bun-desverwaltungsgericht entschiedenen Fall (2 C 19.05) – der Auszubildende durch die hypothetisch auf dem privaten Ausbildungsmarkt absolvierte Ausbildung kein Einkommen erzielt hätte und somit seinen Lebensunterhalt auf andere Weise hätte bestreiten müssen. In einem solchen Fall wäre es zu Lasten des ehemaligen Soldaten zu berücksichtigen, dass er während der tatsächlich bei der Bundes-wehr absolvierten Ausbildung von seinem Dienstherrn hinreichend alimentiert wurde und hierdurch sein Lebensunterhalt sichergestellt war.“

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